Zum 150. Todesjahr von Wilhelm Zahn.

Einer der letzten Briefe Goethes – er schrieb ihn zwölf Tage vor seinem Tod – war an den damals 31jährigen Maler, Architekten und Altertumsforscher Wilhelm Zahn gerichtet.

Wilhelm Zahn? Neben Julius Rodenberg, dem russische Hofrat und Sprachforscher Prof. Georg Böhling, dem Braumeister Kinkeldey, dem erst kürzlich wiederentdeckten J. Anton Coberg und dem Bankier Wilhelm Ludwig Deichmann ist auch der Goethe-Freund, Architekt und Pompeji-Forscher Wilhelm Zahn ein Rodenberger Kind.

Wikipedia schreibt zu Zahn: „Wilhelm Johann Karl Zahn (* 21. August 1800 in Rodenberg; † 22. August 1871 in Berlin) war ein deutscher Dekorationsmaler, Architekt und Ornamentforscher.“

Mein Mitstreiter und Kirchenbuchexperte H. Finger hat sich wieder auf Spurensuche begeben. Wilhelm ist als viertes von fünf Kindern der Eheleute Zahn geboren. Der Kirchenbuchentrag lautet „*21.8.1800: Johann Carl Wilhelm, des Bernhard Zahn, Malers, et ux. Christiane, geborene Weis, ehelicher Sohn. (…) Nachts 12 Uhr.“

Kirchenbucheintrag Geburt Wilhelm Zahn

Leider ist die Geburtsadresse (Grove oder Rodenberg?) von Wilhelm nicht zu ermitteln. Beim dritten Kind Georg Zahn im Jahr 1798 ist im Kirchenbuch „Einlieger in Grove“ – beim fünften Kind Christian Friedrich Zahn 1803 ist „Einlieger in Rodenberg“ angegeben. Also hat die Familie als Einlieger (Mieter) zwischen Grove und Rodenberg den Wohnort gewechselt. Die Adresse von Einliegern wurde in den Kirchenbüchern i.d.R. nicht vermerkt.

Rodenberg nr. 55 oder Lange Straße 34 in der Bildmitte.

Allerdings ist Wilhelm Zahns jüngerer Bruder, der o.a. Christian Friedrich bereits im Febr. 1809 verstorben. Bei diesem Sterbeeintrag findet sich im Kirchenbuch die Adresse „in Nr. 55 in Rodenberg“. Von daher können wir annehmen, das Wilhelm Zahn an eben dieser Adresse in Rodenberg groß geworden ist. Doch wo ist „Rodenberg Nr. 55“?

Aus dem Wissen um die Hausnummern in Rodenberg kann schnell die heutige Adresse ermittelt werden: Es ist die heutige Nr. 34 in der Lange Straße, Juwelier Maasch, vorm. Bertram und vorm. Bähr. Das Haus gehörte zu den ältesten in der Langen Straße und entging nur knapp dem Brand von 1859. Im Jahr 1999 musste das Haus dem Neubau des heutigen Lebensmittelmarktes weichen.

Zahn war ein namhafter deutscher Architekt und Maler. Er besuchte die Gymnasien in Bückeburg und Rinteln. Er erhielt eine universelle Ausbildung entsprechend seiner Neigungen. Mit besonderer Liebe gedachte Zahn später seines Rintelner Lehrers Prof. Stein, der ihn in Altertumswissenschaften unterrichtete. Im Jahr 1818 erfand er eine Verbesserung des „Steindrucks“, später auch „lithographischen Farbendruck“ genannt, dessen Vervollkommenung ihn fortwährend beschäftigte.

Seine Passion fand er aber seit dem Jahr 1824 in dem vom Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. verschütteten Pompeji/Italien. Über seine Forschungsergebnisse zu den Themen antike Gemälde und Ornamente erschienen in den Jahren 1828-1830 mehrere Bücher (das erste gibt es hier online), die zugleich Zeugnis für den von ihm (mit-)erfundenen hochwertigen Farbendruck ablegten.

Nach der Rückkehr von seiner der ersten Italienreise 1827 begann die Freundschaft zwischen Zahn und Goethe. Doch lassen wir Zahn selbst über die erste Begegnung mit dem berühmten Dichter berichten:

Es war am 7. September 1827 und ich noch ein junger unbekannter Mann, als ich auf der Reise (Anm.: aus Italien) nach Berlin durch Weimar kam. Mein ganzes Denken drehte sich um Goethe, und ich beschloss, dem Gefeierten meine Aufwartung zu machen. Aber es war nicht ganz leicht, zu ihm zu gelangen. Tag für Tag von Besuchern bestürmt, hielt er sich etwas abgeschlossen…

Johann Wolfgang von Goethe, Ölgemälde von Joseph Karl Stieler, 1828

Den ganzen Text von Wilhelm Zahn über seine erste Begegnung mit dem großen Goethe findet ihr hier als PDF. Er ist authentisch und amüsant zugleich.

Zahn blieb nicht ein „junger unbekannter Mann“. Mit Empfehlungen Goethes und des Großherzogs von Weimar reiste Zahn weiter nach Berlin, wo der damalige Kronprinz, der spätere König Friedrich Wilhelm IV., die Brüder Humboldt, Fürst Wittgenstein, Schinkel und der Bildhauer Rauch sowie andere Kunstliebhaber die Herausgabe seiner Zeichnungen aus Pompeji förderten. Bereits im Jahr 1829 wurde W. Zahn zum Professor an der Akademie der Künste berufen. Die Jahre darauf verbrachte er wieder vorwiegend in Italien, wo ein zeitweise eine antike Villa auf dem Ausgrabungsgelände bewohne. Zahns antikes Haus wurde jahrelang zum Wallfahrtsort aller kunstbegeisterten Reisenden. Im Herbst 1840 kehrte er nach Berlin zurück und verfasste wieder einige bemerkenswerte Veröffentlichungen. Diese nur noch antiquarisch erhältlichen Bücher und Zeichnungen erzielen nicht zuletzt wegen ihrer für die damalige Zeit hochwertigen Druckqualität in heutigen Auktionen Höchstpreise.

Wie schon erwähnt, hielten Goethe und Zahn bis zum Tode des großen Dichters im Jahr 1832 mittels eines regen Briefwechsel Kontakt. Nach einem arbeits- und erfolgreichen Leben ist Wilhelm Zahn am 22. August 1871 in Berlin gestorben.

Wilhelm Zahn treffen wir aber auch bei Julius Rodenberg wieder: Im Buch „Aus der Kindheit“ erwähnt J. Rodenberg auf Seite 167 den anderen berühmten Sohn der Stadt:

(…) Der Wirt dieses damals vornehmsten Gasthofs (Anm.: Hotel Stadt Cassel in Bad Nenndorf) war der Bruder jenes Wilhelm Zahn, der sich durch seine vorzüglichen Aufnahmen von pompejanischen Wandmalereien und das dadurch geweckte Interesse Goethes einen Namen gemacht hat.

Sowohl Vater Bernhard Zahn wie auch der zwei Jahre ältere Bruder Georg Zahn waren nacheinander Pächter und auch zeitweise Besitzer des „Hôtel de Cassel“. Beide übrigens gelernte Dekorationsmaler, die mit Wilhelms Hilfe nicht nur das Haus Kassel im neuen Kurbad ausmalten …

Im Rodenberger Museum gibt es sechs unsignierte, aber vermutlich von W. Zahn gemalte Porträts im Archiv als Leihgabe. Zwei Bilder zeigen gem. einer alten Inventarliste Wilhelms Zahns ältesten Bruder, den Forstrendanten Albrecht Justus Zahn und seine Ehefrau Henriette. Zahn verdiente sich schon während seiner Ausbildung in Bad Nenndorf mit der Porträtmalerei ein Zubrot.
Wäre zu wünschen, wenn diese Bilder – entsprechend dokumentiert – den Weg in die Öffentlichkeit finden würden.