Gustav Honebrinker und ein brauner Fleck … II

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Als Honebrinker nach seinem Ruhestand in Rodenberg wohnte – er war inzwischen in das Haus seiner Eltern, Suntalstr. 26 umgezogen – hatten meine Eltern losen Kontakt zu ihm. Wohl deswegen fand sich im Nachlass meiner Mutter ein kopiertes Buch „Aus der Kindheit“ von Julius Rodenberg. Auf dem Innentitel trägt es die Unterschrift von Gustav Honebrinker mit der Jahreszahl 1935.

Seine Sympathie für den jüdischen Schriftsteller hat Honebrinker aber offenbar nicht davon abgehalten, im Jahr 1933, also unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, in die NSDAP und ein Jahr darauf in die Allgemeine SS einzutreten.
Was hat ihn dazu bewogen und wieso konnte er mit dieser Vergangenheit nach dem Krieg ohne Weiteres in den Bundesgrenzschutz übernommen werden?

Am 1.5.1933, vier Monate nach dem Einzug Hitlers in die Reichskanzlei, trat Gustav Honebrinker in die NSDAP ein

Eine Antwort dazu findet sich in den Unterlagen zu Gustav Hohnebrinkers Entnazifizierungsverfahren, die sich im Niedersächsischen Landesarchiv (NLA HA, Nds. 171 Hannover – IDEA, Nr. 19333 ) befinden.

Hierzu gibt es eine schon fast tragische Geschichte: Honebrinker wechselte 1931 von Plauen nach Hof, weil ihm dort die Stelle als „Städtischer Musikdirektor“ angeboten wurde. Honebrinker gibt selbst zu diesem Wechsel im Fragebogen zur Entnazifizierung an: „Was mich zu diesem beruflichen Stellungswechsel bewogen hatte, waren vor allem der günstige Anstellungsvertrag als städtischer Dauerangestellter mit Versorgungsrechten und die Tätigkeit eines künstlerischen und geschäftlichen Vorstandes der „e.G.m.b.H. Städtisches Orchester Hof“.
Eingestellt hatte ihn der demokratische Bürgermeister Dr. Buhl, der im Zuge der „Machtübernahme“ durch Dr. Wendler, einem strammen Nazi und Schwager von Heinrich Himmler, Reichsführer SS, ersetzt wurde.
Dr. Wendler wollte nach eigenem Bekunden aus dem Städt. Orchester eine „Kampfstätte für deutsche Sitten und deutsche Kultur“ machen.

Angesichts des zunehmend von strammen Nationalsozialisten bestimmten beruflichen Umfeldes trat Honebrinker im Febr. 1934 in die SS als Unterscharführer ein. All das nützte Honebrinker nicht sehr viel, denn Dr. Wendler setzte den von ihm geschätzten, national gesinnten Parteigenossen Hanns Jessen Honebrinker „vor die Nase“. Honebrinker wehrte sich und darauf hin wurde die Parteipresse mobil gemacht. Mehrere Artikel im „Völkischen Beobachter“ zogen Honebrinker in Misskredit, worauf er – offenbar entnervt – im Dez. 1936 seine Anstellung in Hof kündigte und als Musikmeister in die Luftwaffe eintrat.

Im Fragebogen zur Entnazifizierung gab Gustav Hohnebrinker seine Mitgliedschaften in NS-Organisationen folgendermaßen an:

Signatur NLA HA, Nds. 171 Hannover – IDEA, Nr. 19333

Dem Fragebogen fügte er folgende Erläuterung bei: NLA HA, Nds. 171 Hannover – IDEA, Nr. 19333 Anlage 1,

Signatur NLA HA, Nds. 171 Hannover – IDEA, Nr. 19333

Anm.: Um den folgenden Sachverhalt einschätzen zu können, sind einige Kenntnisse über das Entnazifizierungsverfahren nach dem zweiten WK Voraussetzung.

Die Ziele wurden von den Alliierten auf der Konferenz von Jalta im Febr. 1945 und später auf der Potsdamer Konferenz im Aug. 1945 präzisiert. Die gemeinsame Zielsetzung der Entnazifizierung sollte durch ein Maßnahmenbündel erreicht werden, das unter anderem aus einer umfassenden Demokratisierung und Entmilitarisierung bestand. Das wichtigste Ziel war die Auflösung der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen. Zur Entnazifizierung zählte auch die Verfolgung von Kriegsverbrechen, die während des Zweiten Weltkriegs begangen worden waren und die Internierung von Personen, die als Sicherheitsrisiko für die Besatzungstruppen erschienen.

Spruchkammerverfahren waren Verfahren mit dem Ziel der Entnazifizierung, die nach Ende des Nationalsozialismus in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands durchgeführt wurden. Zunächst wollten die Besatzungsmächte selbst die Spruchkammerverfahren durchführen. Angesichts der großen Menge der Fragebögen und der daraus sich ergebenden Belasteten war wohl schnell klar, dass man damit überfordert war, sodass dann deutsche Spruchkammern eingerichtet wurden.

In der (hiesigen) britischen Zone wurden erst im Februar 1947 deutsche Spruchgerichte eingerichtet. Die Einstufung der Beschuldigten in die Kategorie I und II durfte nicht durch deutsche Spruchgerichte erfolgen, sondern nur durch britische Militärgerichte.

Weitere Informationen zur Zielsetzung, der Durchführung, dem Fragebogen, dem Verfahren, der Einstufung und Konsequenzen sowie die weitere Handhabung der Entnazifizierungspraxis in den Folgejahren findet Ihr im Internet unter den Begriffen wie „Entnazifizierung“ und „Spruchkammerverfahren“.


Wie wurde Honebrinker von der Spruchkammer eingestuft? Es gab vier Kategorien:

1. Hauptschuldige (Kriegsverbrecher)
2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer)
3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe)
4. Mitläufer
5. Entlastete, die vom Gesetz nicht betroffen waren.

Die Entscheidung vom 11.10.1948 lautete: „Herr Honebrinker hat den Nationalsozialismus unterstützt. (Kat. IV)“

Signatur NLA HA, Nds. 171 Hannover – IDEA, Nr. 19333

Die Begründung:

Signatur NLA HA, Nds. 171 Hannover – IDEA, Nr. 19333

Vorhergehende Stellungnahmen (1947) der Engländer stuften ihn in Kat. III mit einschneidenden Sanktionen ein:

Signatur NLA HA, Nds. 171 Hannover – IDEA, Nr. 19333

Noch eine Anmerkung zu dem damaligen Konkurrenten Honebrinkers in Hof:
Hanns Jessen, der schon während der Zeit des Nationalsozialismus als Intendant in Hof tätig gewesen war und damals aus seiner positiven Einstellung zum Nationalsozialismus keinen Hehl gemacht hatte, wurde 1951 wieder Intendant am „Theater Hof“. Sein Entnazifizierungsverfahren wurde 1947 ohne Angabe von Gründen abgebrochen. Der Hofer Stadtrat sprach sich Anfang 1951 zunächst einstimmig gegen Jessen aus, wählte ihn aber am 22. Juni 1951 dann doch. Jessen selbst argumentierte, dass auch andere Künstler, etwa Gustaf Gründgens, nach dem Ende der Diktatur rehabilitiert worden waren….
Quelle: https://dewiki.de/Lexikon/Theater_Hof, abgerufen am 04.08.2022

Nachdem sich Gustav Hohebrinker nach dem Krieg mit zahlreichen Gelegenheitstätigkeiten „durchgeschlagen“ hatte, wurde er 1951 in den gerade neu aufgestellten Bundesgrenzschutz übernommen. Wie schon erwähnt mit dem „alten“ Dienstgrad aus der Wehrmacht…

Eine Voraussetzung beim Aufbau des Bundesgrenzschutz war die am 23. Januar 1951 erfolgte und später umstrittene Ehrenerklärung für die früheren Angehörigen der Wehrmacht durch den Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte, Dwight D. Eisenhower gegenüber Bundeskanzler Konrad Adenauer. Diese machte die Wiedereingliederung ehemaliger Wehrmachtskader, aber auch Angehörigen der Waffen-SS erst möglich, da zu diesem Zeitpunkt nur wenige Nachkriegsjahrgänge und so gut wie keine unbelasteten Offiziere zu Verfügung gestanden hätten.


Nun stellt sich die Frage: Muss das Ganze nach soviel vielen Jahren noch einmal thematisiert werden? Honebrinker wollte doch nur Musik machen! Er ist schon 1982 gestorben und es wird doch nichts wird besser durch die Aufarbeitung seiner Rolle im „III. Reich“?

Honebrinker bezeichnet sich im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens selbst als „Opfer des Nationalsozialismus“. Hätte er dies auch so gesehen, wenn seine frühe NSDAP- und spätere SS-Mitgliedschaften den von ihm erwünschten Effekt gehabt hätten?

Die SS war das wichtigste Terror- und Unterdrückungsorgan im NS-Staat. „Die SS war maßgeblich an der Planung und Durchführung von Kriegsverbrechen und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie dem Holocaust beteiligt und wurde nach 1945 als verbrecherische Organisation verboten.“ (Wikipedia)

Es gab damals viele Mitläufer. Doch es wurde niemand gezwungen, in die SS einzutreten. Ich würde Honebrinker als Menschen bezeichnen, der die Konsequenzen dieses Schrittes nicht zu Ende denken konnte oder wollte.
Er war sicherlich nicht unmittelbar an den Gräueltaten der Nationalsozialisten beteiligt. In seiner herausgehobenen Stellung in der Stadt Hof muss er aber bereits die Auswüchse der „neuen Zeit“ bemerkt haben. Ungeachtet dessen ging er für sein berufliches und damit musikalisches Fortkommen den Pakt mit dem Teufel „SS“ ein.

Die Stadt Rodenberg hat viele unbelastete Persönlichkeiten hervor gebracht, so dass ein Weg / eine Straße nicht nach einem ehemaligen SS-Mann benannt werden muss. Das gebietet der Respekt vor den Millionen Opfern des Nationalsozialismus, dessen Elite und Speerspitze die SS war!

Wer nun reflexartig auf die Idee kommt, den Weg nach dem Barockkomponisten und -Musikers Johann Anton Coberg zu benennen, hat die Bedeutung dieser in Rodenberg geborenen Person nicht erkannt!